OVG Rheinland-Pfalz Urteil – 20.08.2024 1 C 10923/22

project TitleBusiness Agency
ClientMahi Al Rabbi
StatusComplete
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Date05 August 2019
Value$500

BauGB § 35; BImSchV § 20; BNatSchG § 45b
1. Auf Verlangen des Vorhabenträgers ist § 45b Abs 1 bis 6 BNatSchG auch noch im gerichtlichen Verfahren erstmalig anwendbar (im Anschluss an OVG Münster, Urteil vom 24. August 2023 – 22 D 201/22.AK -).*)
2. Bei begründeten Hinweisen Dritter auf Vorkommen kollisionsgefährdeter Brutvogelarten im Nahbereich (§ 45b Abs 2 BNatSchG und zentralen Prüfbereich (§ 45b Abs 3 BNatSchG geplanter Windenergieanlagen obliegen dem Vorhabenträger Kartierungen zur Feststellung eines Brutplatzes.*)
3. Können die Genehmigungsvoraussetzungen des § 6 Abs 1 BImSchG durch die Anordnung von Schutzmaßnahmen im Sinne von Abschnitt 2 Anl 1 zu § 45b Abs 1 bis 5 BNatSchG erfüllt werden, so muss die Genehmigungsbehörde die immissionsschutzrechtliche Genehmigung unter Anordnung entsprechender Nebenbestimmungen erteilen.*)
4. Die Genehmigungsbehörde hat unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles darüber zu entscheiden, ob die vom Vorhabenträger vorgeschlagenen Flächen zur Anlage von Ausweichnahrungshabitaten geeignet sind, das Tötungsrisiko nach § 45b Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG hinreichend zu mindern.*)
5. Ob ein Gelände als hügelig i.S.d. Abschnitt 1 Anl 1 (Uhu) zu § 45b Abs 1 bis 5 BNatSchG einzustufen ist, hängt maßgeblich von der Topographie am konkreten Vorhabenstandort ab.*)
6. Zur Frage einer optischen Beeinträchtigung dominierender landschaftsprägender Gesamtanlagen mit erheblicher Fernwirkung durch Windenergieanlagen.*)
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20.08.2024 – 1 C 10923/22


Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 24. November 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2022 verpflichtet, den Antrag der Klägerin vom 28. März 2018 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen (WEA).

Am 28. März 2018 beantragte die Rechtsvorgängerin der Klägerin, ihr die Errichtung und den Betrieb von sechs WEA des Typs Siemens SWT-DD-142 mit einer Nabenhöhe von 165 m (WEA 3 bis 7) bzw. 129 m (WEA 2) und einem Rotordurchmesser von 142 m auf dem Gebiet der Gemarkung A…, Flur … (Flurstücke …, … und …/…) zu genehmigen.

Die Vorhabenstandorte liegen im Geltungsbereich des Naturparks Nassau außerhalb von Kernzonen. Die Planung der Verbandsgemeinde hinsichtlich der Fortschreibung des Flächennutzungsplans, wonach der Vorhabenbereich als Sonderbaufläche für Windenergie ausgewiesen werden sollte, wurde durch Beschluss des Verbandsgemeinderates vom 15. Dezember 2016 eingestellt.

Mit Bescheid vom 24. November 2020 lehnte der Beklagte den Genehmigungsantrag ab. Dem Vorhaben stünden Belange des Natur- und Landschaftsschutzes gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Baugesetzbuch (BauGB) entgegen, da die Errichtung der beantragten WEA dem Schutzzweck der Rechtsverordnung Naturpark Nassau vom 30. Oktober 1979 (LVO NPN) zuwiderlaufe. Die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 67 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) lägen nicht vor. Dem öffentlichen Interesse an der Nutzung regenerativer Energien stehe das Interesse an der dauerhaften Sicherung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts und der Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie des Erholungswerts von Natur und Landschaft entgegen. Im hier zu entscheidenden Einzelfall und gemessen am Grad der Schutzwürdigkeit der Landschaft in dem betroffenen Bereich einerseits und dem Grad der Beeinträchtigung andererseits falle die Abwägung zugunsten des Landschaftsschutzes aus. Der Vorhabenbereich sei im Landesentwicklungsprogramm IV (LEP IV) als Landschaftstyp Mosaiklandschaft ausgewiesen und Teil der Räume 30 und 31 mit landesweiter Bedeutung für Erholung und Landschaftserlebnis und das Leitbild Erholung und Tourismus. Das Landschaftsbild würde auf Grund der Größe der Anlagen und ihrer Kuppenlage technisch überprägt und entwertet und die Landschaft von der traditionellen Kulturlandschaft in eine „Energielandschaft“ gewandelt. Weiterhin handele es sich auch nicht um einen Standort mit extrem günstiger Windhöffigkeit.

Das Vorhaben könne ferner auch wegen Verstoßes gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot (§ 44 Abs. 1 BNatSchG) nicht genehmigt werden. So sei etwa mit einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko für den Rotmilan zu rechnen. Insgesamt lägen acht Brut- bzw. Revierpaare im planungsrechtlich relevanten Bereich, wobei die Raumnutzungsbeobachtungen des Landesamtes für Umwelt Rheinland-Pfalz (LfU) eine enge Verzahnung zwischen den im A… Wald gelegenen Rotmilan-Revieren „Forsthaus A…“ (4), „M…-U…“ (5), „E…-S…“ (6) und „Sch…“ (8) ergeben hätten. Die hohe Dichte im Umkreis führe zu ausgeprägten inter- und intraspezifischen Aktionen (Territorialflüge, Revierkämpfe) im Bereich des geplanten Windparks und sei von größerer Bedeutung, als dies aus den Untersuchungen des von der Klägerin beauftragen Instituts für Umweltplanung (IfU) hervorgehe. Aufgrund der hohen Anzahl von Aktivitäten gerade auch in Höhe der Rotorbereiche der geplanten WEA sei für alle Anlagen von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko auszugehen. Die vom IfU vorgeschlagenen Vermeidungsmaßnahmen (Schaffung von Ablenkflächen, Abschaltungen bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen) ließen die bestehende Problematik der Interaktionen der Rotmilan-Vorkommen im A… Wald vollkommen außer Betracht, so dass ihre Eignung nicht nachgewiesen sei.

Was den Wespenbussard angehe, sei bereits 2015/2016 im Bereich „S…“ ein besetztes Revier vermutet worden. Dieser Verdacht sei 2018 vom LfU infolge systematischer Erfassungen im Rahmen von Inaugenscheinnahmen vor Ort bestätigt worden. Das LfU habe nachvollziehbar ausgeführt, dass der Nachweis im Bereich des „S…“ aus der Kombination von wiederholten Beobachtungen von territorialen Altvögeln (ornitho-Brutzeitcodes B3 und B4) sowie am 12. August 2018 durch Beobachtung eines bettelfliegenden Jungvogels und eines begleitenden weiblichen Altvogels (Brutzeitcode C12) erbracht worden sei. Obwohl aufgrund methodisch bedingter Einschränkungen keine exakte Eingrenzung des Neststandortes durch den Vertreter des LfU habe vorgenommen werden können, sei durch ihn die fachliche Einschätzung getroffen worden, dass das Planungsgebiet als „Brutwald“ zu deklarieren sei, der sich in weniger als 1.000 m zum geplanten Vorhaben befinde. Da die Klägerin keine Untersuchungen vorgelegt habe, die vermuten ließen, dass das Risiko unterhalb der Signifikanzschwelle liege, sei zumindest ein Ermittlungsdefizit, wenn nicht sogar ein artenschutzrechtlicher Konflikt und ein erhöhtes Tötungsrisiko gegeben.

Darüber hinaus sei auf der Grundlage der nachvollziehbaren Darlegungen des LfU von einem etablierten Uhu-Revier im A… Wald auszugehen. Die Feststellungen seien auf der Basis von Erfassungen und Inaugenscheinnahmen vor Ort im Januar und Februar 2019 und die Abgrenzung der Revierzentren unter Berücksichtigung einschlägiger Methodenstandards erfolgt. Da die Brutzeitcodes B3, B4 und B5 zweifelsfrei erfüllt seien, bestehe ein Brutverdacht. Auf Nachfrage der Genehmigungsbehörde habe das LfU das Brutvorkommen am Rand der Sch… verortet. Dass hingegen dem IfU keine Uhu-Erfassung gelungen sei, liege in dem gewählten Erfassungszeitraum begründet, der erst im März begonnen habe. Die bereits ab Januar erfolgende intensive Revierbesetzungs- und Balzphase sei daher nicht betrachtet worden, so dass der planungsrechtlich relevante Radius von 1.000 m um die geplanten WEA-Standorte nicht vollständig bearbeitet worden sei und daher auch bezogen auf den Uhu ein Ermittlungsdefizit vorliege. Auch hinsichtlich der Waldschnepfe und des Mäusebussards seien die Antragsunterlagen unvollständig und nicht geeignet zu widerlegen, dass für diese Arten kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko vorliege.

Die Voraussetzungen für eine artenschutzrechtliche Ausnahme nach § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG lägen nicht vor, da eine solche nur bei zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses erteilt werden könne. Dieser Ausnahmetatbestand sei in Bezug auf die europäischen Vogelarten nicht anwendbar, weil die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung einen Verstoß gegen die vorrangige unionsrechtliche Bestimmung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (Vogelschutzrichtlinie – VRL -) bewirke.

Des Weiteren verstoße das Vorhaben gegen Ziele der Raumordnung, im Besonderen gegen Z 49 des Regionalen Raumordnungsplans der Planungsgemeinschaft Mittelrhein-Westerwald vom 11. Dezember 2017 (RROP MW 2017). Beim G…schloss D… und dem Schloss O… handele es sich um dominierende landschaftsprägende Gesamtanlagen mit erheblicher Fernwirkung, die vor optischen Beeinträchtigungen zu bewahren seien. Insbesondere das G…schloss, das mit seiner mittelalterlichen Architektur und dem damit verbundenen hohen Symbolgehalt auf einem steilen Felsen oberhalb der Stadt throne und dessen Herrschaftsanspruch durch seine Überhöhung über das umgebende Gebiet zum Ausdruck komme, würde durch die Anlagen optisch stark beeinträchtigt, was die von verschiedenen Betrachtungspunkten aus vorgenommenen Visualisierungen ergeben hätten. Auch gehörten weite Teil der Blickachsen zur Kernzone der historischen Kulturlandschaft Lahntal und würde das harmonische Zusammenspiel von Kulturlandschaft, D… G…schloss und Schloss O… durch die geplanten WEA empfindlich gestört. Zuletzt lägen diese im Erholungs- und Erlebnisraum Nr. 31 „Lahntal„, so dass ihre Errichtung gegen die Zielaussage Z 91 LEP IV verstoße.

Den Widerspruch der Klägerin hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2022 zurückgewiesen.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, der Naturpark Nassau sei aus einem Landschaftsschutzgebiet hervorgegangen, das den räumlichen Geltungsbereich des Naturparks überspannt habe, und das mit 561.000 ha deutlich größer als die übrigen Landschaftsschutzgebiete in Rheinland-Pfalz sei. Nach der zwischenzeitlich in Kraft getretenen Vorschrift des § 26 Abs. 3 BNatSchG, die analog auch auf Naturparke anzuwenden sei, müsse für die Errichtung der WEA keine Genehmigung nach § 5 Abs. 3 LVO NPN mehr erteilt werden. Selbst wenn man eine Befreiung für notwendig halte, sei diese nach § 67 BNatSchG mit Blick auf das zwischenzeitlich in § 2 des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG 2023 -) normierte überragende öffentliche Interesse am Ausbau der Windenergie zu erteilen.

Hinsichtlich der artenschutzrechtlichen Belange beantrage sie – die Klägerin – gemäß § 74 Abs. 5 BNatSchG die Anwendung des § 45b BNatschG, so dass die fachliche Beurteilung, ob durch das geplante Vorhaben ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für geschützte Brutvogelarten entstehe, sich ausschließlich nach dieser Vorschrift beurteile. Waldschnepfe und Mäusebussard seien in Anlage 1 zu dieser Vorschrift nicht genannt und somit nicht kollisionsgefährdet. Auch bestehe kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für den Rotmilan. Die Horste und Revierpaare „Sch…„, „M…-U…“ und „Forsthaus A…“ lägen im Zentralen Prüfbereich der WEA. Ein somit nach § 45b Abs. 3 BNatSchG anzunehmendes signifikant erhöhtes Tötungsrisiko sei aber durch fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen hinreichend reduzierbar. Namentlich kämen Antikollisionssysteme, Abschaltungen bei landwirtschaftlichen Ereignissen und die Anlage attraktiver Ausweichnahrungshabitate in Betracht, die teilweise auch schon Gegenstand des Antrags gewesen seien. In Ansehung der geänderten Rechtslage sei der durch den Beklagten als fehlend monierte Nachweis der Eignung der beantragten Vermeidungsmaßnahmen als erbracht anzusehen. Die übrigen Horste wiesen Abstände auf, die größer als der Zentrale Prüfbereich seien, so dass grundsätzlich schon nicht von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko für diese Brutpaare auszugehen sei und dieses im Übrigen jedenfalls durch die genannten Schutzmaßnahmen hinreichend gemindert werde.

Hinsichtlich des Wespenbussards liege schon deshalb kein Ermittlungsdefizit vor, da dieser zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht als windkraftsensible Vogelart gegolten habe. Aus den Feststellungen des LfU, die auf den Sichtungen territorialer Altvögel und eines bettelfliegenden Jungvogels beruhten, könne nicht auf ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko geschlossen werden. Insbesondere werde ein „bettelfliegender Jungvogel“ in den Brutzeitcodes nicht als sog. C-Nachweis (Nachweis für sicheres Brüten) geführt. Eine gemeinsam mit dem Windpark E… von Januar bis September 2021 durchgeführte Großvogelerfassung habe keinen Wespenbussardhorst im Umkreis von 1.500 m um beide Windparks ergeben. Der Ansatz des Beklagten, auf Grundlage veralteter und singulärer Betrachtungen einen Bereich als „Brutwald“ lediglich grob zu verorten, widerspreche der gesetzgeberischen Wertung in § 45b BNatSchG, wonach ein Brutplatz im Sinne eines nachgewiesenen Horstes vorliegen müsse. Dieser sei methodengerecht zu kartieren, um einen Schluss auf die Lage der WEA im Nahbereich oder im Zentralen Prüfbereich zu rechtfertigen. Selbst wenn man von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko ausgehe, kämen die Anlage von attraktiven Ausweichnahrungshabitaten, die Senkung der Attraktivität von Habitaten im Mastfußbereich und phänologiebedingte Abschaltungen als fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen in Betracht. Diese müssten nicht zwingend von Seiten des Vorhabenträgers vorgeschlagen oder beantragt werden, sondern könnten durch den Beklagten in Gestalt von Nebenbestimmungen angeordnet werden.

Auch das Uhu-Vorkommen sei vom Beklagten lediglich grob „am Rand der Sch…“ verortet worden, ohne dass ein konkreter Brutplatz im Umkreis von 1.000 m um die WEA nachgewiesen worden sei. Im Übrigen könne ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko angesichts eines unterhalb der Rotorunterkante freibleibenden Bereichs von 94 m ausgeschlossen werden.

Soweit für eine Vogelart ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko angenommen werde, sei jedenfalls vom Beklagten eine artenschutzrechtliche Ausnahme zu erteilen gewesen. Dem habe Art. 9 Abs. 1 VRL schon nach der alten Rechtslage nicht entgegengestanden, da Ausnahmen für WEA auf den Belang der „öffentlichen Sicherheit“ hätten gestützt werden können. Jedenfalls durch die in § 45b Abs. 8 Nr. 1 BNatSchG getroffene Neuregelung sei die Frage als geklärt anzusehen und könne die Erteilung einer Ausnahme nunmehr nicht mehr unter Verweis auf entgegenstehendes Unionsrecht abgelehnt werden.

Der Erteilung der Genehmigung stünden schließlich auch keine Ziele der Raumordnung entgegen. Eine Verletzung von Z 49 RROP MW 2017 setze die Annahme einer optischen Beziehung sowie für den spezifischen Schutzzweck bedeutsame Betrachtungspunkte voraus. Sämtliche durch den Beklagten gewählte Visualisierungspunkte seien qualitativ ungeeignet, eine auf den Schutzzweck bezogene Bewertung der Beeinträchtigung der Zielfestsetzung zu ermöglichen. Auch Z 91 LEP IV werde durch die Verwirklichung des Vorhabens nicht verletzt, da sich aus dem Plansatz schon nicht ergebe, dass die Errichtung von WEA in Erholungs- und Erlebnisräumen ausgeschlossen sei.


Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 24. November 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2022 zu verpflichten, über den Antrag vom 28. März 2018 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.


Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.


Er macht er im Wesentlichen geltend, die Neuregelung des § 45b BNatSchG komme bei Vorhaben, die vor dem in § 74 Abs. 4 Nr. 1 BNatSchG genannten Stichtag beantragt worden seien, nur zur Anwendung, wenn das Genehmigungsverfahren noch nicht beendet sei. Habe die Behörde den Antrag hingegen abgelehnt, liege ein mit einer schon erteilten Genehmigung vergleichbarer Fall vor, in dem § 45b Abs. 1 bis 6 BNatSchG nicht anzuwenden sei. Prüfungsgegenstand im gerichtlichen Verfahren könne nämlich nur die Rechtslage sein, die im Prüf- und Genehmigungsverfahren gegolten habe und abgearbeitet worden sei.

Auch bei Anwendung der neuen Rechtslage befänden sich alle beantragten WEA im Zentralen Prüfbereich zu Brut- bzw. Revierpaaren des Rotmilans. Die daher bestehende Regelvermutung für das Vorliegen eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos für diese Vogelart könne auch nicht widerlegt werden, da die vom IfU vorgeschlagenen Vermeidungsmaßnahmen vorrangig auf die Nahrungssuche abstellten und die Problematik der Interaktionen der einzelnen Rotmilan-Vorkommen z.B. bei Territorialkämpfen außer Betracht ließen. Dass sowohl die Anlage attraktiver Ausweichnahrungshabitate als auch Abschaltungen bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen als fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen in Anlage 1 Abschnitt 2 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG aufgeführt seien, entbinde die Genehmigungsbehörde nicht von der Prüfung, ob hierdurch im Einzelfall eine Absenkung des Tötungsrisikos unter die Signifikanzschwelle bewirkt werde. Was den Wespenbussard angehe, sei die von der Klägerin vorgelegte Großvogelerfassung vom 27. Juli 2021 nicht geeignet, die dem Ablehnungsbescheid zugrunde liegenden Feststellungen zu erschüttern. Es sei bislang keine konkrete Nachschau dahingehend erfolgt, ob sich in dem vom LfU als „Brutwald“ bezeichneten Bereich Horste des Wespenbussards befänden. Auch habe die Klägerin keine Abschaltzeiten vorgeschlagen, so dass man den Antrag habe ablehnen müssen. Mit Blick auf den Verfassungsrang des Artenschutzrechts bestünden Zweifel, ob § 2 EEG 2023 auf die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme Anwendung finde. Im Übrigen seien die auch bei Anwendung der neuen Rechtslage einzuhaltenden Voraussetzungen des § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG (räumliche Alternativen, Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der Population) weder von der Vorhabenträgerin dargelegt noch von den Fachbehörden bzw. der Genehmigungsbehörde geprüft worden. Was zuletzt weitere Vogelarten wie den Mäusebussard oder die Waldschnepfe anbelange, die nicht in Anlage 1 Abschnitt 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG aufgeführt seien, bestünden unionsrechtlich bedingte Zweifel an der Abgeschlossenheit der Liste kollisionsgefährdeter Brutvogelarten.

Von einem Verstoß gegen Z 49 RROP sei auch weiterhin auszugehen, da die gewählten Visualisierungspunkte nicht zu beanstanden seien. Die WEA wiesen eine sehr hohe visuelle Dominanz auf, führten zu einer technischen Überprägung und bewirkten einen Maßstabverlust insbesondere des G…schlosses, das durch die Anlagen optisch verkleinert wirke und damit seine visuelle Anziehungskraft verliere. Die geplanten Anlagen lägen zudem im Pufferbereich von 5 km um die als Ausschlussgebiet festgelegte landesweit bedeutsame historische Kulturlandschaft Lahntal. Dort sollten Windenergieanlagen nach G 148f RROP MW 2017 indes nur errichtet werden, wenn sie nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Kulturlandschaft führten. Liege zudem eine Beeinträchtigung von dominierenden landschaftsprägenden Gesamtanlagen mit erheblicher Fernwirkung nach Z 49 RROP innerhalb einer Kulturlandschaft vor, entfalle die Abwägungsmöglichkeit und der Grundsatz verdichte sich zu einer gebundenen Entscheidung. Des Weiteren seien Z 91 LEP IV und G 58 und 97 RROP als weitere Erfordernisse der Raumordnung bei der Prüfung einer Beeinträchtigung der landschaftsprägenden Gesamtanlagen zu berücksichtigen.

Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands ergeben sich aus den zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätzen der Beteiligten und den vorgelegten Verwaltungsakten des Beklagten (8 Ordner, 2 Hefte), die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.

Die Ablehnung der beantragten Genehmigung ist rechtswidrig und die Klägerin hierdurch in ihren Rechten verletzt, wobei der Beklagte nach den Grundsätzen des „steckengebliebenen Genehmigungsverfahrens“ – wie von der Klägerin beantragt – nicht zur Erteilung der Genehmigung, sondern lediglich zu einer erneuten Bescheidung des Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet werden kann (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -).

Der Bescheid vom 24. November 2020 und der Widerspruchsbescheid vom 05. September 2022 sind rechtswidrig, da die Voraussetzungen für die Ablehnung des Antrags nach § 20 Abs. 2 Satz 1 der Neunten Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (9. BImSchV) nicht vorliegen. Es steht keineswegs fest, dass die Genehmigungsvoraussetzungen nicht vorliegen und ihre Erfüllung nicht durch Nebenbestimmungen sichergestellt werden kann.

I. Nach § 6 Abs. 1 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) ist die Genehmigung zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG und einer aufgrund des § 7 BImSchG erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden (Nr. 1) und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen (Nr. 2).

1. Gründe im Sinne des § 6 Abs. 1 BImSchG für eine Versagung der beantragten Genehmigung liegen zunächst nicht vor in Bezug auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), wonach es verboten ist, wild lebende Tiere der besonders geschützten Arten zu verletzen oder zu töten.

a) Der Erteilung der beantragten Genehmigung steht nicht das Tötungsverbot bezogen auf den Wespenbussard entgegen.

Der Beklagte hat den Antrag insoweit mit der Begründung abgelehnt, dass „zumindest ein Ermittlungsdefizit vorliegt, wenn nicht sogar ein artenschutzrechtlicher Konflikt und ein erhöhtes Tötungsrisiko gegeben ist„. Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Antrags auf der Grundlage des § 20 Abs. 2 S. 2 9. BImSchV wegen fehlender Unterlagen – soweit man die Begründung des Bescheids überhaupt als solche ansehen wollte – liegen aber bereits mangels entsprechender Aufforderung und Fristsetzung nicht vor.

Was die danach allein in Rede stehende Ablehnung des Antrags aus materiellen Gründen anbelangt, so macht für die fachliche Beurteilung, ob nach § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare kollisionsgefährdeter Brutvogelarten im Umfeld ihrer Brutplätze durch den Betrieb von WEA signifikant erhöht ist, nunmehr die Neuregelung in § 45b Abs. 2 bis 5 BNatSchG nähere Vorgaben. Sie enthält eine Unterteilung der Abstände zwischen dem Brutplatz einer Brutvogelart und der WEA in einen Nahbereich, einen Zentralen Prüfbereich und einen Erweiterten Prüfbereich und nimmt auf dieser Basis eine Beurteilung des Tötungs- und Verletzungsrisikos der den Brutplatz nutzenden Exemplare vor. Im vorliegenden Fall ist § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG auf Verlangen der Klägerin anwendbar (aa), doch kann die nach § 45 Abs. 3 BNatSchG für den Wespenbussard bestehende Vermutung, dass das Tötungs- und Verletzungsrisiko signifikant erhöht ist (bb) in Bezug auf die WEA 2 bis 5 und 7 durch die Anordnung von Schutzmaßnahmen hinreichend gemindert werden (cc). Bezogen auf WEA 6 ist vom Beklagten die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme (erneut) zu prüfen (dd).

aa) Der Wespenbussard wird in Abschnitt 1 Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG als kollisionsgefährdete Brutvogelart aufgeführt. Als Nahbereich sind 500 m, als Zentraler Prüfbereich 1.000 m und als Erweiterter Prüfbereich 2.000 m aufgeführt.

Die Vorschrift ist entgegen der Ansicht des Beklagten anwendbar. Zwar wurde die Errichtung der geplanten WEA am 28. März 2018 und somit vor dem in § 74 Abs. 4 Nr. 1 BNatSchG genannten Stichtag (1. Februar 2024) beantragt. Nach § 74 Abs. 5 BNatSchG ist § 45b Abs. 1 bis 6 BNatSchG aber bereits vor dem in Abs. 4 genannten Tag anzuwenden, wenn der Vorhabenträger dies verlangt, was die Klägerin in ihrer Klagebegründung vom 18. November 2022 getan hat. Der Vorhabenträger kann die Anwendung des § 45b Abs. 1 bis 6 BNatSchG auch nicht etwa nur dann verlangen, wenn das Genehmigungsverfahren noch nicht beendet wurde. Vielmehr ist die Vorschrift im Rahmen der artenschutzrechtlichen Prüfung auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstmalig anwendbar (OVG NRW, Urteil vom 29. November 2022 – 22 A 1184/18 -). Schon der Wortlaut des § 74 Abs. 5 BNatSchG sieht keine Ausnahme von der Anwendung des § 45b Abs. 1 bis 6 BNatSchG vor, soweit der Vorhabenträger dies verlangt. Die Regelung soll ihm vielmehr eine größtmögliche Flexibilität in der Übergangszeit gewähren (BT-Drs. 20/2354, S. 31). Da das Verfahren vorliegend im Falle einer erneuten Antragstellung ohnehin unter Berücksichtigung des 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG durchgeführt werden müsste, ist die vom Beklagten vorgenommene Lesart weder prozessökonomisch sinnvoll noch trägt sie dem mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes verfolgten Ziel, den Ausbau von WEA an Land zu forcieren, indem die Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden, Rechnung.

Der Hinweis des Beklagten, das Genehmigungsverfahren sei von ihm nach alter Rechtslage geprüft und beendet worden, führt ebenfalls zu keiner anderen Bewertung. Dies gilt auch mit Blick auf die fehlende Verpflichtung des Gerichts, in der Situation eines „steckengebliebenen Genehmigungsverfahrens“ Spruchreife herbeizuführen, die auf der Überlegung beruht, dass im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe technische oder naturschutzfachliche Fragen nicht erstmals im gerichtlichen Verfahren erschöpfend ermittelt und geprüft werden sollen. Dem läuft die Anwendung des § 45b BNatSchG hier indes nicht zuwider, da im Genehmigungsverfahren eingeholte Stellungnahmen und fachliche Beurteilungen – insbesondere soweit sie Erfassungen von kollisionsgefährdeten Brutvogelarten im Bereich des geplanten Windparks beinhalten – für die nunmehr nach Maßgabe des § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG durchzuführende artenschutzrechtliche Prüfung auch weiterhin von Bedeutung sind.

bb) Der Beklagte durfte auf der Grundlage der Ausführungen des LfU von einem Wespenbussard-Brutvorkommen im Anlagenbereich ausgehen. Danach wurden im Juni und Juli 2018 artspezifisch charakteristische Balz- und Revierverteidigungsflüge territorialer Altvögel und sodann im August 2018 ein bettelfliegender Jungvogel in der Ausflugphase beobachtet. Auf der Grundlage einschlägiger Methodenstandards, namentlich der vom „European Ornithological Atlas Committee“ entwickelten Brutzeitcodes, die der Kategorisierung der Verhaltensweisen von Vögeln während der Brutzeit dienen, ist das LfU sodann vom Vorliegen eines sog. C-Nachweises (Nachweis für sicheres Brüten) ausgegangen. Für den Senat ist entgegen der Auffassung der Klägerin ohne weiteres nachvollziehbar, dass durch einen solchen Jungvogel die Voraussetzung des Brutzeitcodes C12 („eben flügge Jungvögel bei Nesthockern„) erfüllt ist, da Jungvögel beim Bettelflug noch nicht selbst in ausreichendem Maß für ihr Futter sorgen, sondern vielmehr den Rufen der Alttiere folgen und von diesen mit Nahrung versorgt werden müssen. Der Annahme eines Wespenbussard-Brutvorkommens im Anlagenbereich steht insbesondere nicht entgegen, dass eine Niststätte nicht lagegenau verortet werden konnte, weil der fehlende Nestfund in artspezifischen Verhaltensweisen des Wespenbussards begründet liegt, der erst nach dem Laubaustrieb im Wald, d.h. nach vollständiger Belaubung des Kronendachs, aus dem Winterquartier zurückkehrt, so dass sich die aktive Suche nach besetzen Nestern in der Brutzeit oft als praktisch aussichtslos erweist. Auch die weitere Vorgehensweise des LfU, zur räumlichen Verortung des Wespenbussardvorkommens aufgrund genau lokalisierter Beobachtungen der Vogelart ein Revierzentrum als Kreisfläche darzustellen, weil ein Neststandort nicht punktgenau bestimmbar ist, ist insoweit folgerichtig, entspricht anerkannten Methodenstandards (vgl. etwa Bayerisches Landesamt für Umwelt, Arbeitshilfe Windenergie und Vogelschutz, Stand 2021 – BayLfU, Arbeitshilfe Windenergie -, S. 15) und ist aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden.

Wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang geltend macht, der Beklagte habe keinen Nachweis für ein Wespenbussardvorkommen im Anlagenbereich erbracht, verkennt sie, dass nicht die Genehmigungsbehörde, sondern der Vorhabenträger das Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen (hier: das Nichtvorliegen von Versagungsgründen im Hinblick auf das artenschutzrechtliche Tötungsverbot) nachzuweisen hat. Zwar sind insoweit keine Untersuchungen „ins Blaue hinein“ geboten (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juli 2008 – 9 A 14.07 -). Etwas anderes gilt aber bei begründeten Hinweisen Dritter auf das Vorkommen einer geschützten Vogelart im Anlagenbereich, denn in diesem Fall werden zur belastbaren und sachgerechten Bearbeitung der natur- und artenschutzrechtlichen Fragestellungen vertiefende Kartierungen der projektbedingt betroffenen Artvorkommen erforderlich, die vor Ort vom Vorhabenträger zu veranlassen sind (vgl. Naturschutzfachlicher Rahmen zum Ausbau der Windenergienutzung in Rheinland-Pfalz vom 13. September 2012 – NFR -, S. 15 f.).

Solche konkreten Hinweise liegen mit den Beobachtungen des LfU zweifellos vor. Im Übrigen ergibt sich auch aus § 45b BNatSchG, wonach (nur!) im Erweiterten Prüfbereich eine Kartierung durch den Vorhabenträger zur Feststellung eines Brutplatzes unterbleiben kann und insoweit auf behördliche Kataster und behördliche Datenbanken zurückzugreifen ist, dass im Nahbereich und im Zentralen Prüfbereich eine Kartierung durch den Vorhabenträger erforderlich ist. Eine solche ging im Übrigen auch der Erteilung der Anlagengenehmigung im Verfahren Windpark E… voraus, auf das sich die Klägerin insoweit zu Unrecht beruft.

Die für die Windparks E… und A… gemeinsam durchgeführte Großvogelerfassung vom 27. September 2021 erfüllt nicht die Anforderungen an eine vertiefende Kartierung. So ist dort dokumentiert, dass etwa das „Nest Nr. 42“ typische Merkmale eines Wespenbussardnests (Belaubung) aufweise, ohne dass erkennbar wäre, wo sich dieses Nest befindet. Unklar ist auch, wo die an zwei Tagen beobachteten, in der Thermik kreisenden Wespenbussarde gesichtet wurden und ob insoweit eine Zuordnung zu einem Revierzentrum oder einem Revier erfolgt ist. In jedem Fall fehlt es an der erforderlichen kartographischen Darstellung der Revierzentren und der Interaktionsflüge/Richtungsflüge gemäß Anlage 7 NFR.

Ist ein Neststandort nicht punktgenau bestimmbar und wird daher aufgrund von Beobachtungen der Vogelart ein Revierzentrum als Kreisfläche dargestellt, so kommt es für die nach § 45b BNatSchG maßgeblichen Abstände auf die Entfernung zwischen den geplanten WEA und dem Mittelpunkt dieser Kreisfläche an (vgl. zu diesem Vorgehen etwa BayLfU, Arbeitshilfe Windenergie, Abb. S. 13 mit Erläuterung). Ausgehend von der dem Ablehnungsbescheid beigefügten Karte (Original Bl. 824 der VA, Maßstab 1: 30.000) und dem darin eingezeichneten Wespenbussardrevier befindet sich somit WEA 6 innerhalb des Nahbereichs von 500 m, wohingegen die übrigen WEA im Zentralen Prüfbereich zwischen 500 m und 1000 m gelegen sind.

cc) Da im Nahbereich die unwiderlegbare Vermutung eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos gilt (§ 45b Abs. 2 BNatSchG), ist die Errichtung und der Betrieb der WEA 6 nur bei Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme möglich (dazu unten dd). Für die übrigen WEA gilt § 45b Abs. 3 Nr. 2 BNatschG, wonach bei einem Abstand, der größer als der Nahbereich und geringer als der Zentrale Prüfbereich ist, in der Regel Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Tötungs- und Verletzungsrisiko der den Brutplatz nutzenden Exemplare signifikant erhöht ist, soweit die signifikante Risikoerhöhung nicht durch fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen hinreichend gemindert werden kann. Werden Abschaltungen bei landwirtschaftlichen Ereignissen angeordnet, attraktive Ausweichnahrungshabitate angelegt oder phänologiebedingte Abschaltungen angeordnet, ist für die betreffende Art in der Regel davon auszugehen, dass die Risikoerhöhung hinreichend gemindert ist.

Von der Möglichkeit der Anordnung von Schutzmaßnahmen muss die Genehmigungsbehörde grundsätzlich Gebrauch machen. Die Anlagengenehmigung unter Auflagen stellt sich insoweit im Vergleich zur Antragsablehnung als milderes Mittel dar. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung ist daher auch in den Fällen zwingend zu erteilen, in denen die Genehmigungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 BImSchG (nur) durch Nebenbestimmungen nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG i.V.m. Anlage 1 Abschnitt 2 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG erfüllt werden können (vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. Oktober 2022 – 22 D 243/21.AK -; s. auch Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 13. Aufl. 2023, § 7 Rn 75). Das vom Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG vermittelte Ermessen stellt sich in diesem Zusammenhang als Auswahlermessen hinsichtlich der Frage dar, welcher Nebenbestimmungen sich die Behörde bedienen will, wobei nunmehr durch § 45b Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG i.V.m. Anlage 1 Abschnitt 2 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG klargestellt wird, dass die dort genannten Schutzmaßnahmen fachlich anerkannt und somit (abstrakt) geeignet sind, das Tötungsrisiko hinreichend zu mindern.

Im vorliegenden Fall sind keine besonderen Umstände dafür erkennbar, dass das von den WEA 2 bis 5 und 7 für den Wespenbussard ausgehende Tötungsrisiko nicht durch Nebenbestimmungen – in Betracht kommt hier etwa die Anordnung phänologiebedingter Abschaltungen – hinreichend gemindert werden kann. Auch bedarf die Festsetzung von Abschaltzeiten keines konkreten Vorschlags der Klägerin. Anders als bei der Anlage attraktiver Ausweichnahrungshabitate, für die der Vorhabenträger im konkreten Fall nachzuweisen hat, dass Flächen in geeigneter Lage und Größe zur Verfügung stehen, können (und müssen) phänologiebedingte Abschaltungen auch ohne Mitwirkung des Anlagenbetreibers angeordnet werden, wenn nur hierdurch das Tötungsrisiko für die betroffene Brutvogelart hinreichend gemindert werden kann. Die Erarbeitung eines Monitoringkonzepts, das die Aussetzung von Abschaltungen bei Nachweis einer fehlenden Wespenbussardbrut zulässt, kommt dem Vorhabenträger insoweit zugute, ist gesetzlich indes nicht vorgesehen.

dd) Soweit für die WEA 6 bezogen auf den Wespenbussard eine artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG in Betracht kommt, darf der Beklagte ihre Erteilung nicht mit der Begründung ablehnen, dies verstoße gegen die vorrangigen Bestimmungen der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (Vogelschutzrichtlinie – VRL -), nach deren Art. 9 Abs. 1 die Mitgliedstaaten Ausnahmen vom Tötungsverbot u.a. aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zulassen können. Nach § 45b Abs. 8 Nr. 1 i.V.m. § 45 Abs. 7 BNatSchG liegt der Betrieb von WEA im überragenden öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit, was der Regelung in § 2 Satz 1 des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG 2023) in der seit dem 29. Juli 2022 geltenden Fassung (BGBl. I, Seite 1237) entspricht.

Das OVG NRW hat hierzu ausgeführt (Urteil vom 29. November 2022 – 22 A 1184/18 -):

Jedenfalls hinsichtlich des hier einschlägigen Interesses der öffentlichen Sicherheit bestehen mit Blick auf Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie keine unionsrechtlichen Bedenken (…). Der Ausbau der Nutzung der Windkraft leistet einen faktisch unverzichtbaren Beitrag zu der verfassungsrechtlich durch Art. 20a GG und durch grundrechtliche Schutzpflichten gebotenen Begrenzung des Klimawandels. Um das verfassungsrechtlich maßgebliche Klimaschutzziel zu wahren, die Erderwärmung bei deutlich unter 2,0 °C, möglichst 1,5 °C anzuhalten, müssen erhebliche weitere Anstrengungen der Treibhausgasreduktion unternommen werden, wozu insbesondere der Ausbau der Windkraftnutzung beitragen soll. Zugleich unterstützt dieser Ausbau die Sicherung der Energieversorgung, die derzeit besonders gefährdet ist. Er trägt zur Deckung des infolge des Klimaschutzziels entstehenden Bedarfs an emissionsfrei erzeugtem Strom bei und verringert überdies die Abhängigkeit von Energieimporte (…). Dies begegnet entgegen der wohl vom Kläger vertretenen Auffassung auch in unionsrechtlicher Hinsicht keinen durchgreifenden Bedenken. Im Gegenteil hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits 2019 ausdrücklich anerkannt, dass die Energiesicherheit ein solches öffentliches Interesse sein kann (vgl. EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 – C-411/17 – (Doel 1 und 2), NVwZ 2019, 1505) Dass die dort im Hinblick auf prioritäre Arten und Lebensraumtypen postulierte einschränkende Voraussetzung, wonach nur die Notwendigkeit der Abwendung einer tatsächlichen und schwerwiegenden Gefahr, dass die Stromversorgung des betreffenden Mitgliedstaats unterbrochen wird, eine Ausnahme rechtfertigt, inzwischen in Folge des gegen die Ukraine geführten Angriffskrieges besteht, steht außerhalb vernünftiger Zweifel und hat schon an anderen Stellen – auch auf EU-Ebene – zu normativen Konsequenzen geführt, etwa bei der Verlängerung der Laufzeiten auch deutscher Kernkraftwerke (…).

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen, denen sich der Senat anschließt, liegt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Ausnahmegrund nach § 45 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. § 45b Abs. 8 Nr. 1 BNatSchG vor.

Ob auch die weiteren Voraussetzungen des § 45 Abs. 7 BNatSchG erfüllt sind, insbesondere ob nach dessen Satz 2 zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Population des Wespenbussards nicht verschlechtert, ist noch vom Beklagten zu prüfen. Insoweit hat das Gericht nach den Grundsätzen des „steckengebliebenen Genehmigungsverfahrens“ keine Spruchreife herbeizuführen und begehrt die Klägerin folgerichtig auch lediglich die Neubescheidung ihres Antrags.

b) Der Beklagte durfte die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das Tötungsverbot hinsichtlich des Rotmilans ablehnen, der in Anlage 1 Abschnitt 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG ebenfalls als kollisionsgefährdete Brutvogelart genannt wird. Als Nahbereich sind 500 m, als Zentraler Prüfbereich 1.200 m und als Erweiterter Prüfbereich 3.500 m aufgeführt.

aa) Im vorliegenden Fall gelangt § 45b Abs. 3 BNatSchG zur Anwendung, da zwischen den Brutplätzen des Rotmilans und den geplanten WEA ein Abstand liegt, der größer als der Nahbereich und geringer als der Zentrale Prüfbereich ist.

Der Ablehnungsbescheid geht auf der Grundlage der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen (Fachbeitrag Artenschutz Avifauna des IfU, Stand 26. Januar 2018), der Beobachtungen des NABU (Windpark A… – Flugbewegungen windkraftsensibler Arten -, Stand 8. August 2018) sowie der Feststellungen des LfU nachvollziehbar von insgesamt acht Rotmilan-Vorkommen im Bereich des geplanten Windparks aus, von denen sich vier Vorkommen („Forsthaus A…“ (4), „M…-U…“ (5), „E…-S…“ (6) und „Sch…“ (8); Bezeichnungen entsprechend dem Ablehnungsbescheid, S. 20) im A… Wald befinden.

Dass der Bescheid auf die im Erlasszeitpunkt maßgeblichen Mindestabstände des NFR abstellt, ist unbedenklich, da die zwischen Brutplätzen und WEA gemessenen Entfernungen erkennbar unterhalb der Grenze zwischen Zentralem und Erweitertem Prüfbereich liegen (nicht ausreichend wäre hingegen eine Verortung der Brutstätte in „circa“ 1.200 m Entfernung, vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 30. September 2022 – 14 K 1208/20 -): So befindet sich der Brutplatz des Brutpaars Nr. 8 („Sch…„) in einer Entfernung von ca. 750 m zu WEA 2 und von ca. 1.050 m zu WEA 3. Der Brutplatz des Brutpaars Nr. 4 („Forsthaus A…„) weist eine Entfernung von ca. 1.100 m zu WEA 5 und WEA 6 und von ca. 900 m zu WEA 7 auf. Problematisch erscheint auf den ersten Blick die in Bezug auf WEA 4 getroffene Feststellung, diese liege „unter 1.500 m“ zu den Rotmilanvorkommen Nr. 4, 5 und 8, da dies nicht ausreicht, um eine Brutstätte im Zentralen Prüfbereich von 1.200 m verlässlich zu verorten. Eine Messung anhand der dem Ablehnungsbescheid beigefügten Karte (im Original Bl. 824 der Verwaltungsakte) ergibt jedoch, dass sich der Reviermittelpunkt des Rotmilanvorkommens Nr. 5 in einer Entfernung von deutlich unter 1.200 m zur WEA 4 befindet. Im Ergebnis liegen somit alle WEA innerhalb des Zentralen Prüfbereichs, wovon im Übrigen auch die Beteiligten ausgehen.

bb) Die somit nach § 45b Abs. 3 BNatSchG bestehende Regelvermutung für das Vorliegen eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos für den Rotmilan wird im vorliegenden Fall nicht auf der Grundlage einer Habitatpotentialanalyse oder einer auf Verlangen des Vorhabenträgers durchgeführten Raumnutzungsanalyse widerlegt (1). Die signifikante Risikoerhöhung kann aber durch fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen hinreichend gemindert werden (2).

(1) Die von der Klägerin vorgelegte Auswertung der Funktionsraumanalyse 2017 (Bl. 1011 der Verwaltungsakte) gelangt zwar zu dem Ergebnis, dass lediglich im Bereich der WEA 2 die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Rotmilans bei über 30 % liegt, wohingegen die übrigen WEA in Rasterbereichen mit einem unter 20 %-igen Nutzungshäufigkeits-Schwellenwert liegen. Allerdings werden in dieser Analyse die Rotmilanvorkommen Nr. 5 („M…-U…„) und Nr. 6 („E…-S…„) nicht berücksichtigt, die erst 2018 durch das LfU (vgl. Stellungnahme vom 8. März 2019, Bl. 572 der VA, dort bezeichnet als „U…/D…“ und „S…/M…„) erfasst wurden. In der Stellungnahme des LfU heißt es, die enge Verzahnung der vier Rotmilanreviere im A… Wald und die hohe Dichte von Rotmilanvorkommen im Umkreis führe zu ausgeprägten inter- und intraspezifischen Aktionen (Territorialflüge, Revierkämpfe) auch im Bereich der geplanten WEA, und zwar bedeutender, als dies aus den Untersuchungen des IfU hervorgehe. Verstärkt werde dies dadurch, dass die Fischteiche im oberen D…, der Bereich der Standort-Schießanlage und die Sch… bevorzugte Nahrungshabitate und Aufenthaltsbereiche dieser Paare darstellten, so dass es im Zuge des unvermeidbaren Überfliegens von Territoriengrenzen und Eindringens von Rotmilanen in Nachbarreviere zu den genannten Revierkämpfen und zu Territorial- und Verfolgungsflügen im hohen Luftraum über dem geplanten Windpark komme, was sich mit der vom NABU skizzierten Häufung von Fluglinien und Ortungspunkten von Rotmilanen über dem zentralen Bereich des A… Waldes decke. Vor dem Hintergrund dieser ohne weiteres nachvollziehbaren (und von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellten) Ausführungen und mit Blick auf die fehlende Berücksichtigung der Rotmilanvorkommen Nr. 5 und 6 im von der Klägerin vorgelegten Fachbeitrag Artenschutz Avifauna des IfU geht der Senat nicht davon aus, dass das Ergebnis der Funktionsraumanalyse die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Rotmilanvorkommen im planungsrechtlich relevanten Bereich der WEA vollständig abbildet und hierdurch die Regelvermutung einer signifikant erhöhten Tötungsgefahr zu widerlegen vermag.

Dasselbe gilt auch hinsichtlich der gemeinsam mit dem Windpark E… durchgeführten Großvogelerfassung 2021, die auf eine Raumnutzungsanalyse verschiedener Rotmilanvorkommen im 1.500 m-Radius um die Anlagenplanung Bezug nimmt, welche die Klägerin indes nicht vorgelegt hat.

(2) Allerdings kann das signifikant erhöhte Tötungsrisiko für den Rotmilan durch die Anordnung fachlich anerkannter Schutzmaßnahmen hinreichend vermindert werden.

Die von der Klägerin vorgeschlagenen Maßnahmen reichen hierzu allerdings nicht aus. Nach § 45b Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG ist in der Regel davon auszugehen, dass die Risikoerhöhung hinreichend gemindert wird, wenn Antikollisionssysteme genutzt, Abschaltungen bei landwirtschaftlichen Ereignissen angeordnet oder attraktive Ausweichnahrungshabitate angelegt werden. Nichtsdestotrotz muss ausweislich der Wirksamkeitsbeschreibung in Anlage 1 Abschnitt 2 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG etwa bei der Anlage von attraktiven Ausweichnahrungshabitaten über die Eignung und Ausgestaltung der Fläche im Einzelfall entschieden werden. Auch für Abschaltungen bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen gilt die Regelvermutung ihrer Wirksamkeit nur vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalles.

Solche besonderen Umstände liegen hier in Gestalt der oben beschriebenen Verzahnung der vier Rotmilan-Reviere im A… Wald vor. Was die von der Klägerin vorgeschlagene Einrichtung von Ablenkflächen anbelangt, so beziehen sich diese lediglich auf die Brutpaare „Sch…“ und „Forsthaus A…„, wohingegen eine Betrachtung der weiteren Rotmilanvorkommen im A… Wald unterblieben ist. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen des LfU führen aber gerade die Interaktionen dieser vier Rotmilanpaare zu Kämpfen und Verfolgungsflügen im hohen Luftraum über den geplanten Anlagen. Da das Überfliegen des Windparks somit nicht bzw. nicht vorrangig dem Aufsuchen von Nahrungshabitaten dient, ist mit dem Beklagten davon auszugehen, dass die Einrichtung der von der Klägerin vorgeschlagenen Ablenkflächen (allein) nicht geeignet ist, das Tötungsrisiko unter die Signifikanzschwelle abzusenken. Dies gilt umso mehr, als etwa die Ablenkfläche V 19.2 am Rand der Sch… liegt, die den Rotmilanvorkommen im A… Wald ohnehin bereits als gemeinsames (und umkämpftes) Nahrungshabitat dient. Vor dem Hintergrund der beschriebenen inter- und intraspezifischen Aktionen sind auch kurzzeitige Abschaltungen der geplanten WEA etwa bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen (Mahd) zur hinreichenden Risikominderung nicht ausreichend.

Als geeignete Maßnahmen kommen indes phänologiebedingte Abschaltungen in Betracht, ohne dass es für eine entsprechende Anordnung der Genehmigungsbehörde einer Mitwirkung des Vorhabenträgers bedarf (vgl. die obigen Ausführungen zum Wespenbussard). Dasselbe gilt auch für den Einsatz von sog. Antikollisionssystemen, die auf Basis automatisierter kamera- und/oder radarbasierter Detektion bei Annäherung der Zielart rechtzeitig bei Unterschreitung einer vorab artspezifisch festgelegten Entfernung zur WEA per Signal die Rotordrehgeschwindigkeit bis zum „Trudelbetrieb“ verringern. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft und Technik kommt für den Rotmilan ein solches System nachweislich in Frage (vgl. Anlage 1 Abschnitt 2 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG).

c) Die Erteilung der Genehmigung darf vom Beklagten auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. BNatSchG hinsichtlich des Uhus abgelehnt werden, da insoweit kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko besteht. Der Uhu ist gemäß Anlage 1 Abschnitt 2 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG nur dann kollisionsgefährdet, wenn die Höhe der Rotorunterkante in Küstennähe weniger als 30 m, im weiteren Flachland weniger als 50 m oder in hügeligem Gelände weniger als 80 m beträgt, was allerdings nicht für den Nahbereich gilt.

Das LfU hat im Januar/Februar 2019 anhand der Brutzeitcodes B3 bis B5 (Balzverhalten, Paar zur Brutzeit in geeignetem Habitat, Revierverhalten) ein etabliertes Uhu-Revier im A… Wald festgestellt und das ungefähre Vorkommen auf Nachfrage der Genehmigungsbehörde am Rand der Sch… verortet. Da die Sch… außerhalb des für den Uhu maßgeblichen Nahbereichs von 500 m zu allen geplanten Anlagen liegt und WEA 3 bis 7 jeweils eine Nabenhöhe von 165 m und einen Rotordurchmesser von 142 m aufweisen, was einer Höhe der Rotorunterkante von 94 m über Grund entspricht, liegt hinsichtlich dieser WEA keine Kollisionsgefahr für den Uhu vor.

Auch durch WEA 2, deren Rotorunterkante sich bei einer Nabenhöhe von 129 m und einem Rotordurchmesser von 142 m auf 58 m über Grund befindet, ist der Uhu im Ergebnis nicht als kollisionsgefährdet anzusehen.

Der Schutzzweck der Festlegung eines 80 m-Abstands zur Rotorunterkante in Bezug auf „hügeliges Gelände“ liegt vor dem Hintergrund einer vorzugsweisen Nutzung des Luftraumes bis 50 m über Grund (vgl. etwa Mierwald/Garniel, Fachliches Grundsatzgutachten zur Flughöhe des Uhus insbesondere während der Balz vom 28. Februar 2017, insb. S. 8 f. und 16 ff., https://landesplanung.hessen.de/sites/landesplanung.hessen.de/files/2022-08/uhu_windkraft_kifl_2017-02-28_0.pdf) ersichtlich darin, Kollisionen zu verhindern, die bei einem Einflug in den Anlagenbereich drohen, weil der Uhu von einem höher gelegenen Geländeabschnitt her anfliegend seine übliche Flughöhe noch nicht wieder (vollständig) dem flacheren Gelände angepasst hat, d. h. dort dann zunächst noch höher als 50 m über Grund fliegt. Demgemäß ist die Rechtsfrage, ob ein Gelände als „hügelig“ im Sinne der Anlage zum BNatSchG einzustufen ist oder nicht, maßgeblich unter Berücksichtigung der jeweiligen Topographie am konkreten Vorhabenstandort zu beantworten. Vor diesem Hintergrund ist vorliegend Folgendes festzustellen:

Der Standort der WEA 2 (Gemarkung A…, Flur …, Flurstück …/…) befindet sich nach der topographischen Karte (vgl. GeoPortal RLP) auf einem Höhenniveau von etwa 346 m. Die Sch… liegt nordöstlich der WEA 2 auf einer Höhe zwischen 280 und 320 m, die absolute Flughöhe in diesem Bereich betrüge daher, wollte man das Uhu-Vorkommen am höchstgelegenen Rand der Sch… verorten, 370 m über Grund. Behielte der Uhu diese Flughöhe bei einem Flug in Richtung der WEA 2 bei, bestünde ersichtlich keine Gefahr, in die Nähe der Rotorunterkante von 404 m (346 m + 58 m) zu gelangen.

Die höchste Erhebung zwischen Sch… und WEA 2 ist der S… mit 352,8 m. Selbst wenn der Uhu diese Erhebung von der Sch… kommend auf direktem Weg und mit maximaler Flughöhe von absolut 402,8 m (352,8 m + 50 m) überfliegen würde, ohne die Flughöhe auf den danach folgenden zwei- bis dreihundert Metern zur WEA 2 wieder dem leicht abfallenden Gelände anzupassen, bliebe er damit immer noch unterhalb der Rotorunterkante.

Die einzige weitere höhere Erhebung im näheren Umfeld der WEA 2 stellt der B… mit 364,5 m dar. Bei einem direkten Anflug der Sch… würde der Uhu die WEA 2, vom B… kommend, indes nicht passieren. Eine Kollisionsgefahr könnte vielmehr überhaupt nur dann bestehen, wenn er den B… mit maximaler Flughöhe überfliegen und sodann, ohne die Flughöhe dem abfallenden Gelände anzupassen, in den zentralen Bereichs des A… Waldes einfliegen würde. Diese Annahme erscheint indes in mehrerer Hinsicht lebensfremd. Zum einen ist bereits unwahrscheinlich, dass der Uhu die punktuelle Erhebung, als die sich der B… darstellt, überhaupt zum Anlass nimmt, seine Flughöhe sofort entsprechend zu steigern, es dann aber auf der weiteren Strecke von ca. 700 m bis zur Anlage unterlässt, wieder auf seine normale Flughöhe zurückzukehren. Zum anderen liegt im zentralen Bereich des A… Waldes weder seine Brutstätte noch befinden sich hier jagdgeeignete Freiflächen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Uhu zu diesem Zweck den zwischen B… und WEA 2 gelegenen Offenlandbereich anfliegt und seine Höhe entsprechend anpasst, so dass selbst dann, wenn er etwa beim Kreisen über dieser Freifläche noch einen Teil des Waldrandes in Richtung der WEA 2 überfliegen sollte, wieder ein als unproblematisch anzusehendes Flughöhenniveau von weniger als 400 m erreicht wird.

Nach allem ist das Gelände mit Blick auf die Topographie am Standort der WEA 2 nicht als hügelig i.S.d. Anlage 1 Abschnitt 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG anzusehen und besteht daher für das festgestellte Uhu-Vorkommen am Rand der Sch… keine Kollisionsgefahr.

d) Die Waldschnepfe gilt nach der gesetzlichen Neuregelung nicht mehr als kollisionsgefährdet.

Die in Abschnitt 1 Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG enthaltene Liste kollisionsgefährdeter Brutvogelarten ist nach dem Willen des Gesetzgebers abschließend (BT-Drs. 20/2354, S. 25). Die gegenteilige Auffassung räumt insoweit selbst ein, dass eine weiterhin bestehende Aufgabe der Genehmigungsbehörde, „die Kollisionsempfindlichkeit anderer Brutvögel und deren Kollisionsgefährdung im Einzelfall ohne normative Anleitung unter stetem Einbezug des fachwissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beurteilen„, nicht zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren beitrage (Gellermann, NuR 2022, 589, 591). Ein solches Verständnis der Vorschrift läuft aber erkennbar dem Willen des Gesetzgebers zuwider, die angesichts der Klimakrise und des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine bestehende doppelte Dringlichkeit, für einen zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien und dabei insbesondere auch der Windenergie an Land zu sorgen (BT-Drs. 20/2354, S. 1), voranzutreiben.

Dass der Gesetzgeber die kollisionsgefährdeten Brutvogelarten in Abschnitt 1 Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG abschließend aufgelistet hat, begegnet jedenfalls dann keinen unionsrechtlichen Bedenken, wenn die Nichtaufnahme in die Liste bezogen auf die in Rede stehende Brutvogelart wissenschaftlich vertretbar ist und der Gesetzgeber sich insoweit nicht über einen gesicherten Erkenntnisstand der Fachwissenschaft hinwegsetzt (vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. November 2022 – 22 A 1184/18 -). Mit Blick darauf, dass die Waldschnepfe im NFR nicht als windkraftsensibel aufgeführt wird, ist ihre Nichtaufnahme in die Liste jedenfalls fachlich vertretbar.

Im Übrigen ist ein Waldschnepfenvorkommen im 500 m-Radius der geplanten Anlagen weder im Rahmen der 2017 erfolgten Kartierungen durch das IfU festgestellt worden noch lässt sich den Äußerungen des LfU entnehmen, dass es – über die Einschätzung des A… Waldes als bloßes Eignungsgebiet hinaus – Hinweise auf konkrete Brutvorkommen im planungsrelevanten Bereich gibt.

e) Auch hinsichtlich des Mäusebussards liegt kein Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG vor. Seine Nichtaufnahme in die Liste kollisionsgefährdeter Brutvogelarten nach Abschnitt 1 Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG ist ersichtlich fachlich vertretbar, da er weder im NFR noch im „Helgoländer Papier“ als windkraftsensibel benannt wird.

2. Der Beklagte darf die beantragte Genehmigung auch nicht unter Verweis auf entgegenstehende Belange des Landschaftsschutzes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Baugesetzbuch – BauGB -) ablehnen, da die Erteilung einer Befreiung gemäß § 67 BNatSchG in Betracht kommt.

Die geplanten WEA liegen im Naturpark Nassau, so dass ihre Errichtung einer Genehmigung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 der Landesverordnung über den Naturpark Nassau vom 30. Oktober 1979 (LVO NPN) bedarf, wonach das Errichten baulicher Anlagen aller Art ohne Genehmigung verboten ist. Die Genehmigung kann nach Abs. 3 nur versagt werden, wenn die Maßnahme dem Schutzzweck nach § 4 LVO NPN zuwider läuft und eine Beeinträchtigung des Schutzzwecks nicht durch Bedingungen oder Auflagen verhütet oder ausgeglichen werden kann.

Die Genehmigung wird zunächst nicht durch den nunmehr eingeführten § 26 Abs. 3 BNatSchG entbehrlich, wonach in einem Landschaftsschutzgebiet die Errichtung und der Betrieb von WEA nicht verboten ist, wenn sich deren Standort in einem Windenergiegebiet des Windenergieflächenbedarfsgesetzes (WindBG) befindet oder außerhalb von für die Windenergienutzung ausgewiesenen Gebieten, bis gemäß § 5 WindBG festgestellt wurde, dass das jeweilige Land den Flächenbeitragswert nach Anlage 1 Spalte 2 des WindBG oder der jeweilige regionale oder kommunale Planungsträger ein daraus abgeleitetes Teilflächenziel erreicht hat. Eine entsprechende Regelung für Naturparke (§ 27 BNatSchG) existiert nicht. Auch wenn Naturparke gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG überwiegend Landschaftsschutzgebiete oder Naturschutzgebiete sind, ist eine planwidrige Regelungslücke, die Voraussetzung für die zwischen den Beteiligten diskutierte analoge Anwendung der Vorschrift wäre, nicht erkennbar. Insbesondere hätte der Gesetzgeber eine dem § 26 Abs. 3 BNatSchG entsprechende Regelung ohne weiteres auch für Naturparke schaffen oder jedenfalls einen entsprechenden Verweis auf diese Vorschrift bezogen auf diejenigen Teile des Naturparks, die Landschaftsschutzgebiete sind, einfügen können.

Ungeachtet des fortbestehenden Genehmigungserfordernisses hat der Beklagte den Antrag der Klägerin erneut zu bescheiden, da er die Erteilung einer Befreiung nach § 67 Nr. 1 BNatSchG nicht (mehr) aus den im Ablehnungsbescheid genannten Gründen ablehnen darf.

Nach dieser Vorschrift kann u.a. von den Verboten, die sich aus dem Naturschutzrecht der Länder ergeben, auf Antrag eine Befreiung gewährt werden kann, wenn dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist. Die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bestehende Rechtslage, namentlich die seit dem 20. Juli 2022 geltenden Regelungen der §§ 2 und 3 EEG 2023, macht insoweit eine neue Abwägungsentscheidung des Beklagten erforderlich. Der Bundesgesetzgeber hat in § 2 Satz 1 in Verbindung mit § 3 Nr. 1 EEG 2023 normiert, dass die Errichtung und der Betrieb von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen. Bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, sollen die erneuerbaren Energien deswegen als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden (§ 2 Satz 2 EEG 2023). Damit soll nach dem Willen des Bundesgesetzgebers erreicht werden, dass die erneuerbaren Energien im Rahmen von Abwägungsentscheidungen u. a. gegenüber dem Landschaftsbild nur in Ausnahmefällen überwunden werden können (siehe zur Gesetzesbegründung BT-Drs. 20/1630 S. 159).

Das ausdrücklich normierte öffentliche Interesse an dem (auch) durch die hier beantragten WEA bewirkten Beitrag zum Ausbau erneuerbarer Energiequellen steht außer Frage. Dass der Standort der geplanten WEA womöglich keine optimale Windhöffigkeit aufweist, darf der Beklagte daher nicht zu Lasten des Vorhabens in die Abwägungsentscheidung einstellen. Zu berücksichtigen sind neben der vom Gesetzgeber betonten Bedeutung des Windenergieausbaus die Randlage des streitigen Vorhabenstandorts innerhalb des Naturparks und in einer deutlichen Entfernung von etwa 6 km zur nächstgelegenen der drei Kernzonen sowie die Schutzwürdigkeit der Landschaft und ihre etwaige Vorbelastung.

3. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt auch nicht gemäß § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB vor. Zwar handelt es sich bei den WEA angesichts ihrer Höhe von über 200 m zweifelsohne um raumbedeutsame Vorhaben i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 6 Raumordnungsgesetz (ROG). Ihre Errichtung widerspricht jedoch keinen Zielen der Raumordnung.

a) Dies gilt zunächst, soweit sich der Beklagte im Ablehnungsbescheid auf einen Verstoß gegen Z 49 des Regionalen Raumordnungsplans Mittelrhein-Westerwald vom 11. Dezember 2017 (RROP MW 2017) beruft.

Danach sind dominierende landschaftsprägende Gesamtanlagen mit erheblicher Fernwirkung (Tabelle 2) vor optischen Beeinträchtigungen zu bewahren.

Zur Begründung heißt es:

Dominierende landschaftsprägende Gesamtanlagen mit regionaler Bedeutung und erheblicher Fernwirkung tragen in besonderer Weise zur regionalen Identität bei. Deshalb soll in einem großen Umkreis um diese Anlagen eine optische Beeinträchtigung durch Siedlungsentwicklung, energiewirtschaftlicher oder verkehrstechnischer Bauten vermieden werden. Bestehende Beeinträchtigungen sollen nach Möglichkeit gemildert oder ganz beseitigt werden. Insbesondere in Bezug auf den Schutz vor optischen Beeinträchtigungen durch energiewirtschaftliche Anlagen wie Hochspannungsleitungen oder Windenergieanlagen ist eine Einzelfallbetrachtung im Rahmen nachfolgender Planungs- oder Zulassungsverfahren erforderlich. Die Umsetzung der Energiewende erfordert die Errichtung zahlreicher Windenergieanlagen. Bereits durch vorausschauende Standortwahl und Arrondierungen von Windenergieanlagen können optische Beeinträchtigungen in einem großen Umkreis von dominierenden landschaftsprägenden Gesamtanlagen mit erheblicher Fernwirkung vermieden werden. Im Rahmen der Einzelfallbetrachtung sind insbesondere die topographische Situation, Bewuchs, Vorbelastungen und die konkrete Lage im Raum einschließlich weiterer raumordnerischer Erfordernisse zu würdigen. Im Einzelfall sind Sichtachsenanalysen erforderlich.

Sowohl das Schloss O… als auch das (G…-)Schloss D… werden in Tabelle 2 des RROP MW 2017 als dominierende landschaftsprägende Gesamtanlagen mit erheblicher Fernwirkung genannt.

Die Errichtung des geplanten Windparks führt indes nicht zu ihrer optischen Beeinträchtigung im Sinne der Zielfestsetzung. Der Senat hat in seinem Urteil vom 7. April 2017 (1 A 10683/16) zu optischen Beeinträchtigungen von dominierenden landschaftsprägenden Gesamtanlagen mit erheblicher Fernwirkung ausgeführt:

Die raumordnerische Zielfestsetzung bezweckt danach den Schutz der als identitätsstiftend erachteten Fernwirkung der in der Tabelle aufgelisteten Kulturdenkmäler vor einer optischen Beeinträchtigung (…). Bei der näheren Eingrenzung des „großen Umkreises“ der geschützten Anlagen, innerhalb dessen eine optische Beeinträchtigung durch Siedlungsentwicklung, energiewirtschaftliche oder verkehrstechnische Bauten vermieden werden soll, ist zunächst zu beachten, dass dieser Umkreis als solcher nach dem Schutzweck nicht weiter gehen kann als der Bereich der Landschaft, der durch die Anlage „geprägt“ wird. Von einem Prägen kann indessen bereits sachlogisch nur dann die Rede sein, wenn das, was prägt, und das, was geprägt wird, in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen (…).Damit eine landschaftsprägende Anlage durch eine andere Baulichkeit (…) beeinträchtigt werden kann, müssen mithin beide in einer bestimmten optischen Beziehung zueinander stehen. Die Annahme einer derartigen optischen Beziehung setzt wiederum Betrachtungspunkte voraus, von denen aus das zu schützende und das auf sein Störpotential hin zu untersuchende Objekt in den Blick genommen werden. Unter Berücksichtigung des mit der Zielfestsetzung erklärtermaßen verfolgten Zwecks – dem Schutz der als identitätsstiftend erachteten Fernwirkung – muss es sich dabei um Blickpunkte handeln, welche für die Wahrnehmung dieser Fernwirkung durch einen dort stehenden Betrachter in schutzzweckrelevanter Weise bedeutsam sind. Dies setzt – wie bereits das Verwaltungsgericht richtig festgestellt hat – quantitativ eine gewisse Häufigkeit der Frequentierung durch potentielle Betrachter voraus. Inhaltliche Voraussetzung ist überdies, dass der Zweck, zu dem diese potentiellen Betrachter die Örtlichkeit aufsuchen, in einem inneren Zusammenhang mit der zu schützenden Fernwirkung steht (…).Von einem danach im Sinne der Zielsetzung bedeutsamen Betrachtungspunkt aus wird sodann eine schützenswerte optische Beziehung im Einzelfall tendenziell umso eher anzunehmen sein, als man von dem entsprechenden Standort aus beide Komponenten „auf einen Blick“ wahrnehmen kann, die potentiell beeinträchtigende Anlage also – sofern sie nicht sogar den Blick auf diese ganz oder teilweise versperrt – gleichsam als „Kulisse“ der zu schützenden Anlage erscheint. Je weiter man hingegen den Blick horizontal oder vertikal schweifen lassen muss, um neben der zu schützenden Anlage auch das auf sein Störpotential zu beurteilende Objekt wahrzunehmen, umso weniger wahrscheinlich dürfte eine optische Beeinträchtigung der zu schützenden Anlage durch dieses Objekt sein. Entsprechendes muss zudem mit zunehmender Entfernung des zu überprüfenden Objekts vom Betrachtungspunkt gelten, durch die von dort aus gesehen dessen scheinbare Größe im Verhältnis zu der zu schützenden Anlage immer weiter abnimmt.

Problematisch erscheint danach insbesondere die Einordnung solcher Objekte, die bei der Betrachtung der geschützten Anlage von einem relevanten Betrachtungspunkt aus zwar nicht – kulissenartig – zentral mit im Blickfeld erscheinen, jedoch jedenfalls am Rande des Blickfeldes sichtbar sind.


Nach Maßgabe dieser Grundsätze sind die im ablehnenden Bescheid angenommenen Beeinträchtigungen in Bezug auf das Schloss O… sowie das G…schloss D… ausgehend von den Visualisierungen im Fachbeitrag Denkmalschutz vom 27. September 2019 der G… & D… GmbH (nachfolgend: G… & D…) und im Gutachten der S… GmbH vom 23. Juli 2019 (nachfolgend: S…) nach Auffassung des Senats nicht gegeben.

aa) Was zunächst das Schloss O… anbelangt, so ist von den gewählten Fotopunkten aus von diesem – wenn überhaupt – nur das Dach mit einem Turm erkennbar (vgl. Fotopunkt 1 S… „D…„). Das übrige Gebäude wird, wie das Gutachten S… (S. 10) selbst ausführt, vom Gehölz verdeckt. Da eine Anlage die sie umgebende Landschaft nur zu prägen vermag, wenn sie (jedenfalls annähernd) in ihrer Gesamtheit wahrgenommen werden kann, ist eine landschaftsprägende Wirkung des Schlosses von den gewählten Betrachtungspunkten aus nicht einmal im Ansatz erkennbar.

bb) Das G…schloss D… wird ebenfalls nicht im Sinne der Zielfestsetzung beeinträchtigt.

Bezogen auf Betrachtungspunkt Nr. 2 (S…, „Oberhalb F…„) ist bereits dessen Schutzwürdigkeit zweifelhaft, da der Feldweg nicht notwendig zu einem Zweck aufgesucht wird, der in einem Zusammenhang mit der Betrachtung des G…schlosses steht. Ungeachtet dessen fällt das Schloss im Winter auf Grund der fehlenden Belaubung und der hierdurch bedingten stärkeren Sichtbarkeit der umgebenden Siedlungsstruktur kaum auf, vielmehr muss der Betrachter es inmitten dieser Strukturen förmlich suchen, so dass jedenfalls von einer landschaftsprägenden Wirkung keine Rede sein kann. Im Sommer wird die Mehrzahl der das G…schloss umgebenden Gebäude durch Belaubung verdeckt und es tritt, auch auf Grund der weißen Farbe und nicht zuletzt durch den gewählten Betrachtungspunkt, deutlicher zum Vorschein. Eine landschaftsprägende Wirkung vermag der Senat indes auch hier nicht zu erkennen. Ein „Thronen“ des Schlosses über der Stadt, durch das dessen historischer Herrschaftsanspruch zum Ausdruck kommen könnte, ist aus dieser Perspektive schon deshalb nicht gegeben, weil der Betrachter auf das tiefer gelegene Schloss herabsieht und oberhalb des Schlosses weitere Siedlungsstrukturen erkennbar sind, die den Eindruck einer Erhabenheit des Bauwerks nicht aufkommen lassen. Des Weiteren sind die geplanten WEA bei einem auf das Schloss fokussierten Blick lediglich unscharf am Horizont erkennbar. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die roten Streifen der Rotorblätter – vorgeschrieben ist eine Breite von 6 m – für das menschliche Auge bei der hier gegebenen Entfernung zwischen Betrachtungspunkt und Anlagen von 7,5 bis 9 km (vgl. S…, S. 16) bei weitem nicht so deutlich in Erscheinung treten, wie es in der Visualisierung den Anschein hat (vgl. OVG RLP, Urteil vom 14. August 2023 – 1 C 10576/21 -).

Dasselbe gilt auch für Fotostandort Nr. 3 (S…, „Oberhalb F…/Panoramarunde„). Wenngleich es sich bei diesem Weg, auf dem eine Radroute sowie die „Panoramarunde D… – A… – D…“ verlaufen, um einen geschützten Betrachtungspunkt handelt, tritt das tiefer gelegene Schloss von dort aus nicht dominant hervor.

Auch hier befinden sich im Vordergrund wiederum Siedlungsstrukturen, die eine optische Verkleinerung des G…schlosses bewirken, so dass von ihm keine landschaftsprägende Wirkung ausgeht. Noch weniger ist dies von Betrachtungspunkt Nr. 4 aus gesehen der Fall, der sich innerhalb der bebauten Ortslage von F… befindet.

Das Schloss tritt hinter die an der H… Straße gelegenen Wohnhäuser derart stark zurück, dass es fast spielzeugartig verkleinert wirkt. Von Betrachtungspunkt Nr. 5 ist das Schloss wiederum inmitten von Siedlungsstrukturen erkennbar, die, soweit sie zwischen Betrachter und Schloss gelegen sind, wiederum zu einem Maßstabsverlust desselben führen.

Betrachtungspunkt Nr. 6 (S…), der sich innerhalb von D… auf dem Lahnwanderweg befindet und dessen Schutzwürdigkeit daher nicht in Frage steht, zeigt das Schloss erstmals von seinem erhöhten Standort über der Altstadt liegend. Die von dort aus sichtbaren WEA haben im Verhältnis zum G…schloss nur eine geringe Größe und können im Übrigen nicht gemeinsam mit ihm in den Blick genommen werden. Fokussiert der Betrachter das G…schloss, so erscheinen die WEA allenfalls am linken äußeren Rand des Gesichtsfeldes und nicht mehr im Bereich scharfen Sehens. Eine optische Beeinträchtigung ist daher auch von diesem Betrachtungspunkt aus nicht gegeben.

cc) Die Berücksichtigung von G 148f RROP MW 2017 (i.V.m. Z 49) führt zu keiner anderen Bewertung.

Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei G 148f nicht um ein Ziel der Raumordnung i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB handelt, sondern lediglich um einen Grundsatz, der nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Raumordnungsgesetz (ROG) zu berücksichtigen, d.h. als öffentlicher Belang in Abwägungs- und Ermessensentscheidungen einzustellen ist. Ungeachtet dessen ist auch in der Sache nicht erkennbar, dass die Lage der geplanten WEA im „Pufferbereich“ von 5 km um die historische Kulturlandschaft Lahntal zu einem Verstoß gegen raumordnerische Erfordernisse führen könnte.

G 148f RROP MW 2017 lautet:

In den nicht als Ausschlussgebiete festgelegten Teilen der landesweit bedeutsamen historischen Kulturlandschaften (Stufen 3 bis 5) sowie in einem Pufferbereich von 5 km um die als Ausschluss festgelegten Teile der landesweit bedeutsamen historischen Kulturlandschaften (5km-Pufferzone um Stufen 1 und 2) sollen Windenergieanlagen nur errichtet werden, wenn sie nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der landesweit bedeutsamen historischen Kulturlandschaften führen.

In der Begründung heißt es u.a.:

Dominierende landschaftsprägende Gesamtanlagen mit erheblicher Fernwirkung (Tabelle 2) spielen innerhalb der landesweit bedeutsamen historischen Kulturlandschaften der Kategorien 1, 2 und 3 eine besondere wertprägende Rolle auch für die Erbequalität. Sie sind daher vor optischen Beeinträchtigungen zu bewahren und diesbezüglich in der Zone 3 im Einzelfall gesondert zu prüfen; bei inhaltlicher Betroffenheit dieses Ziels für Tab.2-Anlagen ist kein Abwägungsspielraum mehr für die Errichtung von Windenergieanlagen am konkreten Einzelstandort gegeben.

Nach dem oben Gesagten ist durch die Errichtung der WEA keine optische Beeinträchtigung des G…schloss D… und des Schloss O… gegeben. Auch wenn das Lahntal im RROP MW 2017 als bedeutsame historische Kulturlandschaft mit herausragender Bedeutung (Stufe 1, s. Karte 8 RROP MW 2017) klassifiziert wird und die geplanten WEA innerhalb des Pufferbereichs von 5 km liegen, ist daher nicht erkennbar, inwieweit sie unter dem Blickwinkel einer Betroffenheit von Tabelle 2-Anlagen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Kulturlandschaft führten. Eine solche ist aber auch isoliert – also ungeachtet der fehlenden Beeinträchtigung von Tabelle 2-Anlagen – nicht ersichtlich, da das Lahntal auf Grund seiner canyonartigen Struktur eine geringe visuelle Transparenz aufweist, die nur selten Sichtbeziehungen zwischen dem Flusstal und dem geplanten Windpark ermöglicht. Die maßgeblichen Sichtachsen befinden sich vielmehr in den Offenlandbereichen der Hochflächen und werden in hohem Maße durch die vorhandenen Siedlungsstrukturen geprägt.

b) Zuletzt steht auch Z 91 des Vierten Landesentwicklungsprogramms vom 7. Oktober 2008 (LEP IV) der Erteilung der beantragten Genehmigung nicht entgegen.

Z 91 LEP IV lautet:

Die Landschaftstypen bilden die Grundlage für die Darstellung von Erholungs- und Erlebnisräumen (s. Karte 9: Erholungs- und Erlebnisräume und Tabelle im Anhang), in denen die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft vorrangig zu sichern und zu entwickeln sind.

Der Erholungs- und Erlebnisraum Nr. 31 „Lahntal“ (s. Karte 9 und Tabelle 2 zu LEP IV) wird beschrieben als „markantes, teils schroff eingeschnittenes Tal mit Burgen und historischen Ortsbildern und Bauten„, das „im Unterlauf weniger markant und teilweise stark durch Bebauung geprägt“ ist. Diese Bebauung tritt auch in einem Großteil der Visualisierungen der Gutachten S… und G… & D… zutage. Dass mit Blick auf diese ausgeprägten Siedlungsstrukturen das Landschaftsbild und die Erholungsfunktion durch die Errichtung und den Betrieb der geplanten WEA in einer Weise beeinträchtigt werden, die gegen das Sicherungs- und Entwicklungsgebot verstößt, ist für den Senat nicht erkennbar. Soweit in den Gutachten Betrachtungspunkte ohne Bebauung gewählt wurden (Betrachtungspunkt Nr. 9 S… sowie Standort 07-PM 07 G… & D…), lässt sich daraus eine relevante Beeinträchtigung des Erholungs- und Erlebnisraums Lahntal ebenfalls nicht entnehmen.

Der markante, canyonartige Charakter des Lahntals wird von den Betrachtungspunkten aus in keiner Weise sichtbar. Vielmehr stellt sich die Landschaft als typische „Mosaiklandschaft“ (s. auch Karte 8 zu LEP IV) dar, die sich zwar abwechslungsreich gestaltet, aber nicht von außergewöhnlicher Schönheit und somit auf eine Weise schutzwürdig ist, die einen Verstoß gegen das Sicherungs- und Entwicklungsgebot durch das geplante Vorhaben nahelegt. Was die Erholungsfunktion anbelangt, so wird insbesondere der Lahnwanderweg, der weitgehend in den Hangbereichen des Flusstals verläuft, auf Grund der zuvor beschriebenen niedrigen visuellen Transparenz der Landschaft durch die geplanten WEA nicht erheblich beeinträchtigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.076.490,00 Euro festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG).

de_DEDeutsch