LG Schwerin Urteil – 26.06.2023 2 O 335/22

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ClientMahi Al Rabbi
StatusComplete
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Date05 August 2019
Value$500

BGB §§ 241, 311, 667, 683; WEG § 23 Abs. 4
1. Der Käufer von Sondereigentum hat keinen Anspruch auf Freistellung von Kosten weitergehender Sonderumlagen trotz kaufvertraglicher Vereinbarung, wenn der Beschluss über die Sonderumlage nichtig ist.
2. Ein Beschluss über mehrere bauliche Maßnahmen und dahingehende Sonderumlagen muss bestimmen und aufschlüsseln, welche Beträge auf die einzelnen Maßnahmen entfallen. Andernfalls kann der Beschluss mangels Bestimmtheit nichtig sein.
LG Schwerin, Urteil vom 26.06.2023 – 2 O 335/22


Im Namen des Volkes

(…)

hat das Landgericht Schwerin – Zivilkammer 2 – durch den Richter am Landgericht ### als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung mit Zustimmung der Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit einer Erklärungsfrist bis zum 30.05.2023

für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.


Beschluss

Der Streitwert wird auf die Wertstufe bis 80.000,00 Euro festgesetzt.


Tatbestand

Die Kläger machen im Urkundenprozess gegen die Beklagte, von der sie als aufteilende Eigentümerin Wohnungen gekauft haben, Freistellungsansprüche auf Zahlungen an eine Dritte geltend.

Die Beklagte verkaufte als aufteilende Eigentümerin im Rahmen einer modernisierenden Baumaßnahme, bei der Aufzugs- und Balkonanlagen errichtet werden sollten, verschiedene Wohnungen der Liegenschaft ### Berlin an die Kläger. In den Kaufverträgen verpflichteten sich die Käufer zur Mitwirkung an der Errichtung von Balkon- und Fahrstuhlanlagen sowie zu Zahlungen zur Abdeckung der Kosten hierfür, wobei sich auf den Kaufgegenstand entfallende wahrscheinliche Beträge aus der Bezugsurkunde vom 04.09.2019, UR-Nr. 1675/2019 des Notars M### (Anlage K3) ergeben. Die Beklagte stellte die Käufer von weitergehenden Sonderumlagen frei. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die jeweiligen Kaufverträge (Anlage K1 und K2, jeweils § 6 6.4 und Anlagen K6 und K 8, jeweils § 4 4.11c) und die notarielle Urkunde vom 04.09.2019 (Anlage K3) verwiesen.

Am 19.05.2022 beschloss die WEG ### Berlin mit 24 Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen die Aufstockung der Sonderumlagen für die Bestellung von Balkonen und eines Aufzuges um weitere 160.000,00 Euro, wobei der Beschluss nicht angefochten wurde. Im Protokoll heißt es hierzu unter TOP 7/7a:

Herr Q### erklärt die Wichtigkeit und Dringlichkeit, dass die Balkone und der Aufzug gebaut werden, da ansonsten die Gültigkeit der bestehenden Baugenehmigung erlischt. Außerdem dient dies der Steigerung des Wohnungswertes. Gerade durch die Ukraine-Krise ist es derzeit sehr schwer auf dem Markt Material zu bekommen. Es sollte mit Lieferzeiten bis zu mindestens einem halben Jahr gerechnet werden. Mit dem Bau der Balkone sollte noch in diesem Jahr begonnen werden. Die bestehenden Angebote für Balkon- und Aufzugsbau sowie die Fenster (Balkontüren) werden unverzüglich beauftragt. Die Kosten dafür trägt der jeweilige betreffen die Eigentümer über die Sonderumlage.

Der Beschluss: Aufstockung der Sonderumlagen für die Bestellung von Balkonen und eines Aufzuges um weitere 160.000,00 Euro

Die Beklagte, Eigentümerin der Wohneinheit 24, wurde zu der Eigentümerversammlung eingeladen. Vor dem Versammlungstermin wurden der Beklagten Angebote für Balkon- bzw. Fahrstuhlanlagen übersandt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die die Angebote (Anlagenkonvolut K11) verwiesen.

Die Beklagte hat trotz klägerischer Aufforderung keine Zahlungen geleistet.

Im Einzelnen:

Die Klägerin zu 1. kaufte mit Verträgen vom 19.10.2021, UR-Nr. 1950/2021 und 1951/2021 des ###die Teileigentumsanteile Nr. 1 und 2 und die Wohnungseigentumsanteile Nr. 8, 11, 12, 17, 19, 21, 23, 31 und 33. Zur Deckung der Kosten der Einrichtung einer Fahrstuhlanlage verpflichtete sich die Klägerin zu 1. eine voraussichtlich entfallende Sonderumlage in Höhe von 7.000,00 Euro für die Wohneinheit 12 zu zahlen (Anlage K1, § 6 6.4). Zur Deckung der Kosten für die Errichtung einer Fahrstuhl- bzw. Balkonanlage verpflichtete sich die Klägerin zu 1. zur Zahlung von jeweils 5.000,00 Euro für die Wohneinheiten, 8, 17, 19, 21, 23, 31 und 33 und in von 6.000,00 Euro für die Wohneinheit 11 (Anlage K2, § 6 6.4).

Für die Aufzugsanlage ergeben sich folgende Differenzbeträge, von denen jeweils 50 % zum 30.11.2022 und 31.05.2023 an die WEG zu zahlen waren:






NummerSonderumlage Kaufvertrag in EuroSonderumlage WEG-Beschluss in EuroDifferenz in Euro
85.000,008.750,003.750,00
116.000,0010.500,004.500,00
127.000,0012.250,005.250,00
gesamt18.000,0031.500,0013.500,00

Für die Balkonanlage ergeben sich folgende Differenzbeträge, von denen jeweils 50 % zum 30.06.2022 und 30.09.2022 an die WEG zu zahlen waren:





NummerSonderumlage Kaufvertrag in EuroSonderumlage WEG-Beschluss in EuroDifferenz in Euro
175.000,0010.777,245.777,24
195.000,0010.777,245.777,24
215.000,0010.777,245.777,24
235.000,0010.777,245.777,24
315.000,0010.777,245.777,24
335.000,0010.777,245.777,24
gesamt30.000,0064.663,4434.663,44

Die Klägerin zu 2. kaufte mit Vertrag vom 04.06.2021, UR-Nr. 889/2021 des Notars des Notars, die Wohnungseigentumsanteile Nr. 3, 14, 18 und 28. Zur Deckung der Kosten

für die Errichtung einer Fahrstuhl- bzw. Balkonanlage verpflichtete sich die Klägerin zu 2. zur Zahlung von Sonderumlagen (Anlage K6, § 4 4.11c).

Für die Aufzugsanlage ergibt sich folgender Differenzbetrag, von dem jeweils 50 % zum 30.11.2022 und 31.05.2023 an die WEG zu zahlen waren:





NummerSonderumlage Kaufvertrag in EuroSonderumlage WEG-Beschluss in EuroDifferenz in Euro
147.000,0012.250,005.250,00

Für die Balkonanlage ergeben sich folgende Differenzbeträge, von denen jeweils 50 % zum 30.06.2022 und 30.09.2022 an die WEG zu zahlen waren:





NummerSonderumlage Kaufvertrag in EuroSonderumlage WEG-Beschluss in EuroDifferenz in Euro
185.000,0010.972,765.972,76
285.000,0010.972,765.972,76
gesamt10.000,0021.945,5211.945,52

Die Klägerin zu 2. hat den zum 30.06.2022 fälligen Betrag, mithin 5.972,76 Euro, bereits an die WEG gezahlt.

Der Kläger zu 3. kaufte mit Vertrag vom 23.10.2020, UR-Nr. 1682/2020 des Notars M###, die Wohnungseigentumsanteile Nr. 13. Zur Deckung der Kosten für die Errichtung einer Fahrstuhlanlage verpflichtete sich der Kläger zu 3. zur Zahlung von Sonderumlagen (Anlage K6, § 4 4.11c).

Für die Aufzugsanlage ergibt sich folgender Differenzbetrag, von dem jeweils 50 % zum 30.11.2022 und 31.05.2023 an die WEG zu zahlen waren:





NummerSonderumlage Kaufvertrag in EuroSonderumlage WEG-Beschluss in EuroDifferenz in Euro
147.000,0012.250,005.250,00

Die klägerischen Bevollmächtigten haben die Beklagte vorgerichtlich vergeblich zur Zahlung bis zum 17.08.2022 (Klägerin zu 1.), bis zum 22.08.2022 (Klägerin zu 2). bzw. zur Bestätigung der Freistellung (Kläger zu 1. bis 3.) aufgefordert. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die als Anlagen K5, K7 und K9 zur Akte gereichten Schreiben verwiesen.


Die Kläger beantragen,

1) die Beklagte zu verurteilen, an die WEG ###, vertreten durch die WEG-Verwalterin, die Hannelore Auerswald Steuerberatungsgesellschaft mbH

a) Euro 17.331,72

b) Euro 23.304,47 bis zum 30.09.2022

c) Euro 12.000,00 bis zum 30.11.2022

d) Euro 12.000,00 bis zum 31.05.2023

nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz

a) aus Euro 17.331,72 seit dem 01.07.2022

b) aus Euro 23.304,47 ab dem 01.10.2022

c) aus Euro 12.000,00 ab dem 01.12.2022

d) aus Euro 12.000,00 ab dem 01.06.2023 zu zahlen.

2) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 2. Euro 5.972,76 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz seit dem 01.07.2022 zu zahlen.


Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise ihr die Ausübung ihrer Rechte im Nachverfahren vorzubehalten.


Die Beklagte ist der Auffassung, der Urkundenprozess sei nicht statthaft. Der Beschluss des WEG vom 19.05.2022 sei mangels dem Protokoll beigefügter Angebote nicht ausreichend bestimmt und daher unvollständig, unklar widersprüchlich und nichtig. Eine Nichtigkeit liege auch wegen eines Verstoßes gegen § 315 BGB vor, da die Bestimmung der Höhe nicht der Billigkeit entspräche. Die Freihalteverpflichtung der Beklagten beziehe sich lediglich auf exakt ursprünglich geplanten Baumaßnahmen. Aus der Beschlusssammlung der WEG ergäbe sich kein erforderlicher Grundlagenbeschluss über Errichtung von Aufzug- und Balkonanlagen, was zwingende Voraussetzung gewesen wäre.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Der Urkundenprozess ist entgegen der nicht näher begründeten Auffassung der Beklagten statthaft.

Nach § 592 Satz 1 ZPO kann im Urkundenprozess ein Anspruch, welcher die Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder die Leistung einer bestimmten Menge anderer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere zum Gegenstand hat, geltend gemacht werden, wenn die sämtlichen zur Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen durch Urkunden bewiesen werden können. Die Klägerin kann sämtliche erforderliche Tatsachen durch Urkunden beweisen, wobei hiervon unstreitige, zugestandene oder offenkundige Tatsachen ausgenommen sind (Kratz, in: BeckOK ZPO, Stand 01.03.2023, § 592).

Diese Klageart ist auch bei zukünftigen Leistungen und Leistungen an einen Dritten statthaft, zumal nicht die Verurteilung der Beklagten, die Kläger von Ansprüchen freizustellen, begehrt wird (vgl. Kratz, a.a.O., beck-online Rn. 13, 17).


II.

1. Die Kläger haben derzeit keine Ansprüche gegen die Beklagte auf Freistellung von weitergehenden Sonderumlagen durch Zahlung der Differenzbeträge an die WEG aus den notariellen Kaufverträgen vom 19.10.2021 (Anlagen K1 und K2, § 6 6.4), vom 04.06.2021 (Anlage K6, § 4 4.11c) und vom 23.10.2020 (Anlage K8, § 4 4.11c), jeweils in Verbindung mit der notariellen Urkunde 1675/2019 des Notars M### vom 04.09.2019 (Anlage K3).

Zwar hat sich die Beklagte darin jeweils verpflichtet, die Kläger von weitergehenden Sonderumlagen, die für die Errichtung der Aufzug- bzw. Balkonanlagen anfallen, freizustellen und es bedurfte aufgrund der notariellen Urkunde von 19.09.2019 (Anlage K3), in der die Beklagte vor Veräußerung von Einheiten voraussichtliche Sonderumlagen für die jeweilige Teilungs- bzw. Wohneinheit beziffert hat und Käufer zur Zahlung der Sonderumlagen verpflichtet wurden, keines Grundlagenbeschlusses der WEG zur Errichtung von Aufzug- und Balkonanlage. Allerdings ist der Beschluss der Wohnungseigentümergesellschaft vom 19.05.2022 (Anlage K4, TOP 7/7a), mit dem die Sonderumlagen für Aufzug- und Balkonanlage um 160.000,00 Euro aufgestockt wurden und auf dem die gelten gemachten Freistellungen von weitergehenden Sonderumlagen in Höhe von 70.608,96 Euro beruhen, nichtig.

a) Der Beschluss vom 19.05.2022 ist unbestimmt. Ein Beschluss muss erkennen lassen, welche tatsächliche oder rechtliche Folge beabsichtigt ist und was aufgrund des Beschlusses zukünftig gelten soll (Bartholome, in: BeckOK WEG, Stand 03.04.2023, § 23 beck-online Rn. 144). Ein Beschluss ist bestimmt, wenn er aus sich heraus genau, klar, eindeutig und widerspruchsfrei erkennen lässt, was gilt und er eine in sich geschlossene und verständliche Regelung enthält (Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 23 beck-online Rn. 141). Diesen Anforderungen wird der Beschluss der WEG vom 19.05.2022 nicht gerecht. Es wurde die Aufstockung der Sonderumlagen für die Bestellung von Balkonen und eines Aufzugs um weitere 160.000,00 Euro beschlossen. Anders als aus der notariellen Urkunde vom 04.09.2019 (Anlage K3) geht aus dem Beschluss bereits nicht hervor, in welcher Höhe die Sonderumlage für die Aufzuganlage und in welcher Höhe die Sonderumlage für die Balkonanlage aufgestockt wird. Obwohl die Arbeiten unter Berücksichtigung der eingeholten Angebote Werkverträge mit unterschiedlichen Werkunternehmern geschlossen werden sollte und der jeweilige betreffende Eigentümer über die Sonderumlage die Kosten tragen soll, wurde die Sonderumlage insgesamt ohne Konkretisierung erhöht.

b) Die fehlende Klarheit und Bestimmtheit führt vorliegend zur Nichtigkeit des Beschlusses, § 23 Abs. 4 WEG. Die Folge eines unklaren und unbestimmten Beschlusses, nämlich dessen Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit, richtet sich danach, ob der Beschluss eine durchführbare Regelung noch erkennen lässt, wobei Umstände außerhalb des Protokolls nur herangezogen werden dürfen, wenn sie für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (Bartholome, a.a.O., m.w.N., BGH, Urteil vom 08.04.2016, V ZR 104/15), zum Beispiel, weil sie sich aus dem (übrigen) Versammlungsprotokoll ergeben (BGH). Dabei ist unerheblich, ob den Teilnehmern der Eigentümerversammlung der Sinn der Regelung bewusst war (OLG Oldenburg, Beschluss vom 05.04.2005, 5 W 194/04). Bei Erkennbarkeit einer durchführbaren Regelung ist ein Beschluss lediglich anfechtbar (Bartholome, a.a.O., m.w.N.). Wenn ein Beschluss der Wohnungseigentümer auf Dokumente Bezug nimmt, muss das Dokument zweifelsfrei bestimmt sein (BGH, Urteil vom 08.04.2016, V ZR 104/15).

Eine durchführbare Regelung lässt der Beschluss vom 19.05.2022 nicht für jedermann ohne weiteres erkennen. Zwar geht aus dem Protokoll hervor, dass Angebote für den Balkon-, Aufzugsbau und Balkontüren eingeholt wurden und der jeweilige betreffende Eigentümer über die Sonderumlage die Kosten über die Sonderumlage tragen soll, die Angebote sind jedoch nicht näher bezeichnet und zweifelsfrei bestimmt. Der Beschluss selbst nimmt auf diese Angebote keinen Bezug. Zudem ergäbe sich eine durchführbare Regelung auch dann nicht, da weiterhin nicht ersichtlich ist, in jeweils welcher Höhe die Sonderumlage für Aufzug- bzw. Balkonanlage aufgestockt werden soll. Hierfür bedürfte es zumindest der Kenntnis von der notariellen Urkunde vom 04.09.2019 (Anlage K3) und der eingeholten Angebote (Anlagenkonvolut K11).

2. Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Nebenforderungen.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 100 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 4 ZPO (Ulrich, in: BeckOK ZPO, Stand 01.03.2023, § 708 beck-online Rn. 15).

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